4. - 7. April 2005
Skitourenwoche Meiental (UR) (9 Teilnehmer)
Weisser Sonntag Nachmittag – prächtiges, warmes Frühlingswetter. Morgen wollen wir zur Tourenwoche aufbrechen. Doch die Tourenleiter haben die Teilnehmer kurzfristig zu einer Lagebesprechung zusammengerufen, denn der Wetterbericht ist vieldeutig. Im Moment herrscht eine Föhnphase – keine ideale Voraussetzung für die geplante Tourenwoche in den 4000-ern des Jungfraugebietes. Gutes Wetter ist eigentlich nur am Montag und Dienstag zu erwarten, was nachher kommt, ist sehr ungewiss und tönt überhaupt nicht verheissungsvoll. Es wird hin und her beraten, abgewogen und entschieden. Das gute Wetter am Montag soll nicht einer langen Reiserei geopfert, sondern für eine Gipfelbesteigung genutzt werden können. Ein demokrati-scher Entscheid fällt auf das Meiental im Urnerland. Dort haben wir noch nie getourt, die Tourenleiter haben aber kürzlich in diesem Gebiet zufällig eine Rekognoszierungstour unter-nommen und gute Verhältnisse vorgefunden. Die sind unabdingbar, denn das Meiental bietet lauter anspruchsvolle Skitouren mit alpinem Charakter an.
Am Montag früh fahren wir zu neunt per Auto nach Wassen und zweigen dort ab Richtung Meiental. Ab Fährnigen, auf der Höhe von ca. 1500 m, ist die Sustenpassstrasse schnee-bedeckt – wir schnallen die Skis an. Das Tagesziel wurde schon am Vortag bei der Besprechung bestimmt. Bei der Gorezmettlenbrücke biegen wir ins Chlialptal ein. Der Aufstieg ist lang und stellenweise bis 40° steil – 1700 Höhenmeter müssen überwunden werden. Den Chli Spannort umgehen wir westlich und gelangen zum Skidepot beim Spannortjoch. Den Gipfel des Gross Spannort (3198 m) erklimmen wir zu Fuss, ausgerüstet mit Steigeisen und Seilsicherung. Dieser imposante Berg mit den bizarren Felstürmen und seiner isolierten Lage auf der sanften Firn-wölbung zwischen Engelberger- und Erstfeldertal hat faszinierende Tiefblicke zu bieten. Trotz schönem Wetter ist es bitterkalt da oben, ungemütlich für die Ersten, die auf die Letzten warten. Nachdem der Abstieg bewältigt und der Chli Spannort wiederum umgangen ist, folgt der gemütlichere Teil – die lange Abfahrt hinunter zur Sustenpassstrasse. Ach ja – wir brauchen ja noch ein Logie. Das Meiental liegt noch im Winterschlaf, keine Beiz, kein Gasthaus ist offen. Im Hotel Alte Post in Wassen finden wir aber, was wir suchen: Eine nette, gastfreundliche und preiswerte Unterkunft mit gutem Essen.
Das Wetter soll am Dienstag ja noch recht gut sein - erst am Nachmittag
ist mit aufziehenden Wolken zu rechnen. Also beschliessen wir, nomol e chli
en Rächte zmache. „Skitourenziel für höchste Ansprüche,
1850 m Höhendifferenz, sehr steiler, mühsamer Aufstieg, bis 45°,
absolute Beherrschung der Skis“ (aus dem Tourenbeschrieb des SAC-Tourenführers).
Um 05.45 Uhr fahren wir in Wassen los. Etwas nordwestlich des Dörfleins
Fährnigen überqueren wir die Meienreuss und montieren im fahlen
Licht unserer Stirnlampen die Harscheisen. Eine pickelharte Schneedecke,
Gestrüpp, felsdurchsetzte Partien, enge Couloirs – bei diesem
wilden, steilen Aufstieg mangelt es nicht an Schikanen. Dafür haben
wir die Spur für uns ganz alleine, keine Menschenseele begegnet uns.
Meter um Meter, Spitzkehre um Spitzkehre, darunter auch knifflige, schieben
wir uns höher. Nur nicht daran denken, dass man da heute auch wieder
runterfahren muss! Endlich eine Stelle, wo es sich für eine Rast an
der Sonne einigermassen gemütlich machen lässt. Und dann öffnet
sich das Gelände zunehmend, eine gute Spur führt den Rütifirn
hinauf, vorbei an einigen imposanten, riesigen Gletscherspalten. Vom Skidepot
weg erklettern wir, aufgeteilt in drei Seilschaften, die gut 250 Hm. über
den Südostgrat zum Gipfel des Stucklistockes (3313
m). Fast 6 Stunden sind seit dem Abmarsch vergangen. Mittlerweile hat sich
der Himmel überzogen, doch die Sicht ist nach wie vor sehr gut. Es
ist bedeutend wärmer als gestern. Die gähnende Leere in diversen
Trinkflaschen und der Gedanke an die Beiz unten im Tal lassen keine Picknickgelüste
mehr aufkommen. Und einige möchten sowieso den unteren Teil der Abfahrt
baldmöglichst hinter sich wissen. Also nichts wie runter. Inzwischen
ist die Schneedecke zu unserem Erstaunen so ideal angesulzt, dass alle Befürchtungen
für die Katz sind und sich alles als nicht mehr halb so wild entpuppt
– eine eindrückliche Abfahrt ist es aber allemal noch.
Mittwoch: Eigentlich wäre jetzt eine gemütliche „Erholungstour“
fällig, doch das Meiental ist nicht ideal für Skispaziergänge.
Das Sprichwort „Morgenstund ist ungesund“ gilt offenbar nur
in den Niederungen des Mittellandes, sonst wären wir nicht schon wieder
um fünf Uhr aufgestanden. Sterne am Himmel – gut.
Der Ausgangspunkt ist derselbe wie am Montag. Dem Gorezmettlenbach entlang
wärmen wir uns langsam auf, steigen über Rossplangg – Juzfad
hinauf zum Rossfirn. Hier satteln wir nicht die Pferde, sondern schnallen
die Skis an die Rucksäcke, einige montieren auch die Steigeisen und
überwinden so die lange, enge Steilflanke zum Südgrat hinauf.
Endlich an der wärmenden Sonne geniessen wir hier eine ausgiebige Rast.
Gemütlich, mit wiederum mehr als 1500 Höhen-metern in den Beinen,
geht’s dann über den breiten Firnrücken weiter zum Tagesziel,
dem Zwächten (3080 m). Prächtig ist die Aussicht
da oben und imposant die steil auf den Rossfirn abfallende Südwand.
Um optimalen Schnee für die Abfahrt zu erwischen, verweilen wir nicht
lange auf dem Gipfel, und die Steilflanke bereitet vor allem den drei Frauen
etwas Kopfzerbre-chen. Doch wir rutschen gut, mehr oder weniger elegant,
es ist wirklich steil. Unten Seufzer der Erleichterung – geschafft.
Jetzt liegen endlose, breite Hänge mit bestem Frühjahrssulz vor
uns. Genussvoll nehmen wir Hang für Hang, machen da und dort einen
Verschnaufer und schauen zurück um dann wieder gemütlich das nächste
Stück unter den Brettern durchgleiten zu lassen - Abfahrtsvergnügen
pur. Obwohl wir noch eine längere Pause einlegen, uns verpflegen, die
Sonne geniessen und Schneeball-Boccia spielen, sind wir heute zeitig zurück
in Wassen – eine Gelegenheit, dieses Urner Bergdorf ein bisschen zu
erkunden, einmal Sicht nicht aufs sondern vom Kirchlein Wassen aus zu haben.
Sicht auf die Autobahn, von der ein permanenter Lärm-pegel ausgeht,
Sicht auf die drei Niveaus des Gotthardbahn-Trassees, von wo fast pausenlos
das Geräusch eines fahrenden Zuges zu vernehmen ist, Sicht an die steilen
Berghänge beid-seits des Reusstales, die dem Dorf wenig Sonnenschein
gewähren. Dazu kommt im Sommer noch der Verkehr auf der Sustenpassstrasse,
der mitten durchs Dorf rollt, dafür aber wenig-stens etwas Tourismus
bringt. Keine beneidenswerte Situation.
Der Wetterumsturz am Donnerstag ist absehbar. Schon am Morgen ist es bewölkt. Dennoch bleibt der Bächenstock das Tagesziel. Früh sind wir wieder auf den Skis. Ein kurzes Stück weit geht’s dem Gorezmettlenbach entlang, dann ostwärts den steilen Hang hinauf. Immer mehr Wolken ziehen auf, es beginnt zu schneien. Bei der Sewenhütte (2150 m) werfen einige das Handtuch. Sie wollen hier auf die Gipfelstürmer warten, in der kalten Hütte ein Feuer entfachen, Schnee schmelzen, eine Suppe kochen, jassen. Eine Dreiergruppe steigt weiter. Doch früher als erwartet, kehrt auch sie zur Hütte zurück. Bei Seewenstöss auf 2340 m entschliesst sie sich wegen dichtem Nebel zur Umkehr. Gemeinsam geniessen wir nun die warme Suppe, eine willkommene Abwechslung zum „kalten Buffet“ aus dem Rucksack. Dann die letzte Skiabfahrt ins Meiental, die letzte Autofahrt hinunter nach Wassen, die Heimreise.
Der Abbruch dieser Tourenwoche bei einem markanten Wetterumsturz war von
Anfang an vorgesehen.
Wir haben das Privileg, gehen zu können, wenn es uns nicht mehr passt
und wiederzukommen, wenn es uns gelüstet. Diese Tourenwoche war kurz,
aber sehr intensiv. Wir haben vier besondere Tage erlebt, viele Höhenmeter
erstiegen, kämpfen müssen aber auch geniessen können. Ein
allseitiges Dankeschön für diese bereichernden Urner Bergtage.